Stüssihofstatt, Unterschächen, Kanton Uri. Wer in diesem Haus umherstolpert, tut dies auf denselben Balken, auf denen einst auch Walthart Zeffel trampelte. Er ist der erste verbürgte Besitzer der Stüssihofstatt. Das Haus trotzt seit über 560 Jahren dem Urner Wetter und gehört heute der Stiftung Ferien im Baudenkmal.
Wenn die Holzkundigen ihre finnischen Handbohrer ansetzen, 5 Millimeter dicke Bohrkerne aus den Balken schneiden und exakt untersuchen, dann eröffnen sich Zeitalter: Eine Fichte, die zur Stüssihofstatt gefügt wurde, keimte spätestens 1315, das heisst im selben Jahr, als die Eidgenossen bei Morgarten die Schädel und die Machtgelüste der Habsburger zerschmetterten. Dann wuchs die Fichte 136 Jahre lang dem Urner Himmel entgegen, bis sie 1450 das Beil eines Bauern fällte.
Zwischen September 1450 und April 1451 wurden auch die anderen Bäume geschlagen, aus denen man das spätmittelalterliche Wohnhaus zimmerte. Alles Holz wurde saftfrisch verarbeitet – so, wie das damals üblich war. 1451 also war die Stüssihofstatt für ihre Bewohner bereit. Und 1451 kam auch Christoph Kolumbus zur Welt. Im Schächental wusste man noch nichts von Amerika, die Welt war den einen eine Scheibe und den anderen eine Kugel. Die Unterschächener Heilquelle am Eingang zum Brunnital war jedoch bereits entdeckt.
Gelebt, geliebt, gelitten
Dann haben während über 560 Jahren Menschen in der Stüssihofstatt gelebt, geliebt, gelitten. Auch das hat sich dem Holz eingeschrieben. Irgendwie. Zuletzt diente sie während 10 Jahren dem Kleinverlag pudelundpinscher als Sitz und Wohnhaus. 2010 musste das Verlegerpaar, die Künstlerin Beatrice Maritz und der Schriftsteller Andreas Grosz, ausziehen. Sie waren die letzten ordentlichen Bewohner des Hauses.
Unklar ist, wer die Stüssihofstatt erbaut und als erstes darin gehaust hat. Eingetragen ins Grundbuch wurde das Gebäude erst 1591. Deshalb ging die Urner Denkmalpflege lange davon aus, dass das Haus im späten 16. Jahrhundert errichtet worden war. Doch da hatte es schon mehrere Generationen vor Wind, Regen und Schnee geschützt.
Ein bäumiger Kerl
Erster verbürgter Besitzer der Stüssihofstatt war Walthart Zeffel, Hauptmann in französischen und venezianischen Diensten und zur Zeit des Grundbucheintrags Landvogt im Rheintal. Das erzählen die Historiker. 1581 hat er dem Dorf Bürglen am Eingang zum Schächental eine Glocke geschenkt. Was hat er 1591 in Unterschächen gewollt? Hat er Ruhe gesucht oder lag ihm daran, rasch über den Klausen ins Rheintal reisen und dort landvogten zu können? Zeffel, heisst es, sei 1633 im Alter von über 98 Jahren gestorben. Was für ein bäumiger Kerl.
Nach dem Zeffel kamen mehrere Generationen der Familie Brand, dann folgten 1736 die Bissigs, 1878 die Gislers. Sie kamen aus dem Stüssi in Unterschächen, wo noch heute ein Heimetli mit diesem Namen steht. Diese Gislers trugen den Übernamen «Stüsseler», so konnte man sie zweifelsfrei von den anderen Gislers im Dorf unterscheiden. Von ihnen rührt wohl die Bezeichnung «Stüssihofstatt» her. Unwahrscheinlich scheint, auf was andere Forscher tippten: dass nämlich ein Glarner aus dem vornehmen Geschlecht der Stüssis nach Uri zog und dem Haus den Namen gab.
Seit 1955 gehörte die Stüssihofstatt der Familie Arnold. Sie wollte das Haus abreissen und auf dem Grundstück ein neues bauen. Der Kanton Uri liess es nicht zu. Schliesslich fanden sich gütlich Eigentümer, Behörden und die vom Schweizer Heimatschutz gegründete Stiftung Ferien im Baudenkmal. Letztere hat das alte Haus gekauft. Und Walthart Zeffel hat aus dem Schächentaler Himmel herab dem Geschäft freudig zugenickt.
Schweizer Heimatschutz, 1 / 2013 (PDF)