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Beim Ersatzbau der Spitallamm-Staumauer an der Grimsel wurden wunderschöne Kristalle gefunden. Viele davon kann man neu im Werk Handeck sehen – auch eine Stufe, die 250 Kilogramm schwer ist.

Das Grimselgebiet birgt Mineralien von ausgesuchter Qualität. Das hat sich auch jetzt wieder gezeigt. Gegenwärtig ersetzt die Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) die Spitallamm-Staumauer beim Grimsel-Hospiz (wir berichteten). Die KWO baut vor der alten Mauer eine zweite, neue. Dazu müssen zahlreiche Stollen in den Berg getrieben und Fels an der Oberfläche weggesprengt werden. Insgesamt vier grössere Klüfte haben die Mineure dabei entdeckt. Zwei davon enthielten eher mässig schöne Kristalle, zum Teil stark mit Chlorit überzogen. Die zwei anderen Klüfte aber überraschten mit glasklaren Quarzen, doppelendigen Kristallen und ganz speziell geformten Kristallgruppen. Diese sind – ohne Übertreibung – von erstklassiger Qualität.

Kartieren, bergen, nummerieren

Wenn die Mineure und Bauarbeiter im Stollen oder draussen eine grössere Kluft entdecken, sind sie verpflichtet, die KWO zu orientieren. Dann inspizieren die zwei Mineralienaufseher Walter von Weissenfluh und Alexander Willener die Fundstelle. Sie entscheiden, ob und wie die Kristalle geborgen werden. «Wir gingen davon aus, dass beim Bau der neuen Staumauer ein paar Klüfte angeschossen werden könnten. Aber die Menge und die Qualität der Kristalle, die wir jetzt gefunden haben, hat uns wirklich überrascht», sagt Walter von Weissenfluh. Er ist wie Alexander Willener bei der KWO angestellt und wird gerufen, wenn Klüfte bei Sprengarbeiten geöffnet werden. Dann fotografieren und dokumentieren sie die Kluft, kartieren das Ganze und nummerieren die geborgenen Kristalle.

Ausgestellt sind die schönsten Stücke von der Spitallamm-Baustelle nun in der Handeck. Sie wurden 2019 gefunden und können im Rahmen einer Führung durch die Kraftwerke Handeck 1, 2 und 2E besichtigt werden. In den sechs grosszügigen Vitrinen finden sich beeindruckende Rosafluorite, herrliche Kristallspitzen, gute Handstufen und eine Riesengruppe von rund 250 Kilogramm. Die Riesengruppe ist rundum mit Kristallen besetzt, zum Teil wachsen sie gegeneinander. Es ist davon auszugehen, dass Teile der Kluftdecke vor Millionen von Jahren auf die unteren Kristalle gefallen und teilweise mit ihnen verwachsen sind. Ein ganz ausserordentlicher Fund.

«Die eine grosse Kluft war komplett mit Lehm gefüllt. Wir haben einfach Klumpen heraus-genommen und erst nach dem Reinigen gesehen, wie schön die Kristalle sind», sagt Walter von Weissenfluh. Was oben oder unten ist, könne man bei vielen Stufen nicht sagen. Einige der geborgenen Kristalle sind auch im Besucherzentrum beim Grimsel-Hospiz ausgestellt. Andere lagern im Archiv am Hauptsitz der KWO in Innertkirchen, zum Beispiel glasklare Gwindel, diese gesuchten, in sich leicht gedrehten Kristalle.

Zu Bergung der Kristalle wurden zum Teil die Maschinen angehalten und die Arbeit kurz unterbrochen. «Bei den Sprengungen gehen auch viele Kristalle kaputt, manchmal aber können die Mineure im Schutt noch schöne Stücke entdecken», sagt Walter von Weissenfluh. So habe ein Mineur einen Rosafluorit von 5 Zentimeter Kantenlänge aufgehoben und ihm gezeigt.

Dann war klar, dass irgendwo eine Kluft angeschossen worden ist. Die grösste Kluft, die sich in einem Stollen befindet, war 5 Meter breit, 30 Zentimeter tief und reichte 2 Meter weit in den Fels. Sie wurde komplett ausgeräumt und ist heute zubetoniert. Walter von Weissenfluh denkt, dass sie im Rahmen der Bauarbeiten an der Spitallamm-Staumauer noch weitere Kristalle finden werden.

Beda Hofmann, Leiter und Kurator Mineralogie und Meteoriten im Naturhistorischen Museum Bern, ist unter anderem spezialisiert auf Schweizer Mineralien. Er schreibt zu dem Fund in einer Kluft und zum Gestein: «Es handelt sich um eine eindrückliche Kluft im Grimsel-Granodiorit, die besonders durch das Auftreten vieler Einschlüsse von Biotit in Quarz auffällt. Ein Phänomen, das ich noch nie in dieser Intensität beobachtet habe.» Er hat weitere Mineralien im Kluftmaterial entdeckt, so Adular, Fluorit, Epidot, Apatit, Zirkon und weitere.

Keine Funde mehr seit 2007

Bereits in den Jahren 2004 bis 2007, als die KWO das Kraftwerk Grimsel 1 modernisierten, hatten Walter von Weissenfluh und Alexander Willener in Stollen zahlreiche Kristalle geborgen. Auch da zeichneten sich die Funde durch glasklare Quarze, teils leicht rauchig, und variantenreich geformte Stufen aus. Es fanden sich zudem diverse andere Mineralien wie beispielsweise Ankerit, Fingernagelcalcit oder Pyrit.

Walter von Weissenfluh berichtete damals, dass sie die bedeutendste Kluft vom Chloritsand befreit hätten und dann die Kristalle wie Kartoffeln lose hätten ernten können. Die grösste Spitze hatte einen Durchmesser von 20 Zentimeter und eine Höhe von 30 Zentimeter. Seither wurden in den Stollen der KWO kaum mehr Kristalle gefunden.

Die eindrücklichste Kluft im Grimselgebiet bleibt aber die Gerstenegg. Sie wurde 1974 entdeckt und in ihrer ursprünglichen Form belassen. Sie ist die wohl schönste originale Kristallkluft der Schweiz. Auch sie haben die KWO für Besucherinnen und Be-sucher im Rahmen eines Kraftwerkbesuchs zugänglich gemacht.

Zur Besichtigung der neuen Kristalle von der Spitallamm-Staumauer führen die KWO auf einer anderen Tour die Gäste täglich bis Ende Oktober durch die Kraftwerke Handeck 1, 2, 2E.

Berner Oberländer/Thuner Tagblatt 24. Juli 2020 (PDF)