Er galt als Sonderling und in der Gemeinde auch als Störenfried. Aber er wurde von Fachleuten geschätzt und kannte sämtliche Pflanzen und Gesteine, die in seiner Umgebung anzutreffen waren: Johann Urban Frei, genannt «Gipsgrubenheiland». Heute kann man die schönsten Fossilien, die er geborgen hat, im Gemeindehaus in Oberehrendingen bestaunen.
Ehrendingen, bestehend aus Ober- und Unterehrendingen, liegt am Nordwestabhang der Lägern, unweit von Baden. Die Gegend des sogenannten Faltenjuras ist rohstoffreich. So florierte einst der Abbau von Gips für die Produktion von Dünger und Baustoffen sowie von Ton und Mergel für die Produktion von Zement. Die Gruben sind längst stillgelegt, die Spuren in der Landschaft aber kann man noch immer lesen. Auch Gebäude der Zementfabrik stehen noch in der Nähe des Gipsbachs.
Fossiler Regenbogen?
Die Region ist geologisch geprägt von den Schichten des Malm, Dogger, Lias und Keuper, die hier auf jüngere Schichten der Molassezeit aufgeschoben, respektive aufgefaltet sind. Starke Erosion hat tiefe Gesteinsschichten und in der Gipsgrube den Kern der Lägernstruktur freigelegt. Der Abbau von Gips hat zudem die buntfarbigen Schichten von Gips und Mergel gut sichtbar gemacht, vor allem eine formschön aufgefaltete Partie am obersten Rand der alten Grube. Man berichtet, für den berühmten Geologen Albert Heim habe die Gipsgrube zu den «schönsten Aufschlüssen im Keuper» gehört. Und von einem französischen Geologen, der den Ort besucht hat, heisst es, er habe den Aufschluss als einen «zu Stein gewordener Regenbogen» bezeichnet. Besser kann man es nicht formulieren.
Bei dieser Gipsgrube in Oberehrendingen wohnte von 1949 bis zu seinem Tod 1978 der Johann Urban Frei. Er wurde bewundert und geschätzt für sein umfassendes Wissen zu Pflanzen, insbesondere Orchideen, und zur Geologie – alles hatte er sich bewundernswert selber angeeignet. Gleichzeitig wurde er verachtet für seine Lebensweise in der einfachen Hütte bei der alten Gipsgrube. Er hatte die Familie verlassen und häufte neben seiner Behausung allerlei Grümpel an, den er aber zum Teil wiederverwendete.
In einer Fernsehsendung klärte er auf, weshalb er «Gipsgrubenheiland» genannt wurde. Nicht, weil er das heilige Leben eines Eremiten führte, sondern weil er als Weltverbesserer galt. In einem selbstgeschriebenen Lebenslauf erwähnte er seine schwierige Jugend, offenbar war sein Vater Alkoholiker und schlug, wenn er sturzbetrunken nach Hause kam, sowohl seine Frau als auch seine Kinder. 1941 heiratete Johann Urban Frei, die Familie hatte drei Kinder.
Grabspuren von Krebsen
Seine Hütte ist längst weggeräumt – sie wurde kurz nach seinem Tod abgefackelt –, aber wer sich auf den Weg zur alten Gipsgrube macht, kommt an einem grossen Stein vorbei, dem «Grifitenkalkstein». Der Stein ist wie von Menschenhand behauen: schlangenförmige Muster überziehen ihn. Es sind Grabgänge von Krebsen, wissenschaftlich spricht man vom Spurenfossil Thalassinoides. Der aufmerksame «Gipsgrubenheiland» hatte den Stein geborgen. Er stammt aus der Staffelegg-Formation (früher: Lias) oberhalb der Grube. Eine alte Tafel am Stein besagt, dass es sich um Korallenverästelungen handelt, aber das ist nicht richtig. Eine neue grosse Info-Tafel steht neben dem rund 830 Kilogramm schweren und fast 200 Millionen Jahre alten Brocken und erklärt einem alles. Ein ähnlicher Stein aus der Oberehrendinger Grube stand einst beim Ennetbadener Gewerbeschulhaus, ist aber seit einem Umbau nicht mehr auffindbar.
Weiter kann man im Wald am Wegrand grosse Gesteinsplatten entdecken, die zum Teil überwuchert sind. Hingestellt hat sie Johann Urban Frei. Die Steine sind übersät mit fossilen Muscheln der Gattung Gryphaea und anderen Fossilien. Hergeschleppt hatte sie der «Gipsgrubenheiland» von einer Stelle oberhalb der Grube in gut gebankten Kalksteinen des Beggingen-Members («Lias»). Viele dieser Steine wurden inzwischen weggetragen oder auch zerstört, einer sogar nur, um das Negativ eines Ammoniten zu gewinnen.
Ammoniten, Belemniten, Seeigel
Im Gemeindehaus in Oberehrendingen sind weitere Fossilien ausgestellt, die Johann Urban Frei gesammelt hatte. Viele hatte er selber verkauft, er war ja auch auf Mineralien- und Fossilienbörsen anzutreffen. Dass Ehrendingen heute die Fossilien auf diese Weise präsentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, ist Claudio Eckmann und Peter Bitterli zu verdanken. Der einheimische Claudio Eckmann bemüht sich seit Jahren um das Erbe des «Gipsgrubenheiland» und sagt: «Ich fände es einfach schade, wenn die Fossilien verschwänden und die Geschichte des Johann Urban Frei vergessen ginge.» Und Claudio Eckmann, der alles zur Dorfgeschichte sammelt, insbesondere zur Gipsgrube und der Zementfabrik, fügt hinzu: «Ich bin halt ein bisschen angefressen von all dem.» Peter Bitterli, der immer wieder im «Schweizer Strahler» über Fossilien schreibt, half beim Bestimmen und legt ebenfalls Wert darauf, dass das Erbe dieses aussergewöhnlichen Menschen sachgerecht behandelt wird.
Dass Johann Urban Frei ein besonderes Auge für aussergewöhnliche Dinge hatte, belegen auch andere Fundgegenstände. So hat er beispielsweise ein bearbeitetes Hirschhorngeweih aus der Jungsteinzeit und sowie einen Plesiosaurus-Knochen gefunden, die beide heute in Aargauer Museen aufbewahrt werden.
Die Fossilien, die in Oberehrendingen ausgestellt sind, hat Peter Bitterli präpariert und bestimmt:
1 Ammonit. Paracoroniceras nodosaries aus dem Gebiet Sulz oberhalb der Gipsgrube. Durchmesser 43,5 cm.
2 Ammonit. Vermutlich Paracoroniceras sp., ebenfalls aus dem Gebiet Sulz. Durchmesser 70 mm.
4 Ammonit. Perisphinctes (Arisphinctes) parvus. Mergelgrube Hinterstein. Durchmesser 79 mm.
3 Ammonit. Perisphinctes (Perisphinctes) cf. martelli. Aus der ehemaligen Mergelgrube Hinterstein. Durchmesser 210 mm.
5 Ammonit. Subdiscosphinctes (Subdiscoshinctes) kreutzi. Gut erkennbar die Lobenlinien. Mergelgrube Hinterstein. Durchmesser 102 mm.
7 Belemniten. Platte mit zahlreichen Belemniten aus dem Gebiet Sulz oberhalb der Gipsgrube.
8 Muscheln und Bivalven. Platte mit vielen Gryphaen und einem Ammoniten. Aus dem Gebiet Sulz.
9 Schnecke. Steinkern einer Pleurotomaria, bewachsen mit Austern und Röhrenwürmern, ebenso einer Trigonia-Muschel. Ca. 95 mm hoch und an der Basis 130 mm breit.
10 Seeigel. Nucleolites clunicularis. Aus der Mergelgrube Hinterstein.
11 Seeigel. Pygomalus ovalis. Mergelgrube Hinterstein.
12 Cidaris-Seeigel: Romanocidaris filograna mit Calcitkristallen. Mergelgrube Hinterstein. 40 mm breit und 20 mm hoch. Daneben ein Cidaris Stachel aus dem Steinbruch Schümel, Holderbank.
13 Cidaris-Seeigel: vermutlich Plegiocidaris coronata. Mergelgrube Hinterstein.
14 Gips-Alabaster aus der Gipsgrube Oberehrendingen.
15 Fasergips aus der Grube Oberehrendingen.