An die trockenen Sommer haben sich die Walliser Bergbauern über Jahrhunderte anpassen können. An Extremniederschläge nicht. Ein Besuch am Hang.
Ried-Mörel, 1168 Meter über Meer, besonnt von morgens bis abends. Hier haben Ruth und Reinhold Berchtold 1980 einen Hof übernommen. Sie hat Jahrgang 1960 und stammt aus Ernen, einem Dorf weiter oben im Rhonetal. Reinhold, ausgebildeter Sozialarbeiter und Heimerzieher, ist zwei Jahre älter und in Ried-Mörel aufgewachsen. Sein Vater war Landwirt im Nebenerwerb. Von Anfang an war für beide klar: Es muss bio sein.
So kam es, dass die Berchtolds den ersten Biobetrieb im Oberwallis führten. Sie hielten Mutterkühe, Schweine und Hühner. Sie verkauften erfolgreich Fleisch, Eier und Gemüse direkt an ihre Kundschaft. «Am Anfang hat uns der Bund Geld dafür gezahlt, dass wir keine Milch produzieren», erzählen sie. 2011 haben sie den Betrieb an Stefan Wyss und seine Frau Simone Loretan übergeben. Er, der Thurgauer, hatte sich auf ein Inserat hin gemeldet. Und es hat gepasst. Nun lebt die Familie mit den zwei Kindern Lilith und Melchior in Ried-Mörel. Ruth und Reinhold helfen weiter auf dem Hof mit und sind wie Grosseltern für die beiden Kinder.
Zusätzliches Wasser
Die nach Süden ausgerichteten Hänge im Wallis trocknen schnell aus. Deshalb haben die Bauern jene Kanäle eingerichtet, die seit Jahrhunderten das Wasser von den Gletschern direkt zu den Matten führen, oft über mehrere Kilometer hinweg: die Suonen. Von dieser immensen Arbeit profitiert auch Stefan. Er berieselt seine Wiesen mit Schmelzwasser vom Aletschgletscher. Das braucht es, sonst wäre viel zu wenig Futter da für die Mutterkühe, die Kälber und die paar Geissen. Früher wurde das Aletschwasser in einer Suone rund um den Berg herum geführt, heute fliesst es durch einen Stollen nach Ried-Mörel. «Es ist gut, dass man hier die alten Wasserleitungen wieder unterhält», sagt Stefan. Früher dienten sie nur zum Bewässern, heute können sie auch Wasser am Dorf vorbeileiten, und zwar dann, wenn es zu stark regnet. Das bringt lokal etwas Entlastung, löst aber das Problem nicht.
«Die extremen Regen nach Trockenphasen haben eindeutig zugenommen, das ist für uns in den Bergen wegen Rutschen und Murgängen sehr problematisch», sagt Ruth Berchtold. Zudem fliesst viel Wasser einfach ab, weil es der Boden nicht genügend rasch aufnehmen kann. Reinhold ergänzt: «Diese Extremereignisse zeigen, dass wir nicht vor einer Klimaerwärmung stehen, sondern schon mitten in der Klimakrise stecken.» Dieses Jahr ist nach dem milden Winter der Schnee früh weggeschmolzen. Dann folgten die Wochen ohne Regen und so fehlt dem Boden die Frühlingsnässe.
Zu viel aufs Mal
Stefan ist im Hitzesommer 2018 in den Thurgau gereist. «Die Felder dort waren so trocken wie jene Hänge bei uns, die wir nicht berieseln können. So etwas habe ich noch nie gesehen.» Sein Bruder hat einen Hof im Osten Deutschlands. Von ihm erfuhr er, dass er das Vieh im Stall lassen musste, weil es extrem trocken war und kein Gras mehr wuchs. «Und wenn es später extrem regnet, müssen sie das Heu fast mit dem Schlauchboot einbringen.» Die Landwirte im Flachland stehen also vor den gleichen Problemen wie jene in den Bergen. Nur hat man im Wallis mit den Suonen schon vor Jahrhunderten auf trockene Sommer reagiert – und man hat vorläufig noch genug Wasser von den abtauenden Gletschern.
Das gilt nicht für alle Regionen in den Bergen – und schon gar nicht für das Flachland. Aber auch in Ried-Mörel haben die Konflikte um das lebenswichtige Gut zugenommen: Die Bauern brauchen es dringend für ihre Wiesen, die Touristiker wollen möglichst viel Wasser speichern für die Schneekanonen, die es im Winter für glatte Pisten braucht.
Im Sommer wird Stefans Familie die Tiere auf die Varneralp in der Nähe von Siders bringen. Dank der Suonen, die das «heilige Wasser» auf die Matten leiten, finden die Mutterkühe und ihre Kälber vorderhand noch genug Gras. Aber die Unwetter? Und die Schäden am Schutzwald durch Trockenheit und Sturm?
echo, Juni 2020 (PDF)