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Einzelne Zähne von Raubdinosauriern hat man in der Schweiz schon gefunden, aber noch nie ein Skelett. Das hat sich mit dem Notatesseraeraptor frickensis geändert.

Bei Hagel und Schneeschauer habe er an Ostern 2006 in der Gruhalde auf eine Exkursionsgruppe gewartet, sagt Ben Pabst; er gehört zu den kundigsten Schweizer Saurierforschern und engagiert sich seit Jahren in Frick. «Ein Hobbypaläontologe wies mich darauf hin, dass in der oberen Schicht noch Knochen liegen», erzählt er. Er habe dann einen Block weggerollt und sofort gesehen, dass es kein Plateosaurus sei, also keiner von jenen 5 bis 10 Metern grossen Dinosauriern, die nur Pflanzen frassen und die man schon öfter in Frick gefunden hat. Beim ursprünglichen Finder handelt es sich um den Hobbypaläontologen Michael Fischer aus Basel. 

Erst 2009 wurde der Schädel des Raubdinosauriers gefunden, rund 1.5 Meter entfernt vom Rest des fossilen Körpers. Besonders faszinierend daran: Fast 100 Prozent der Schädelknochen sind erhalten. Besonders spannend: An den Schädelknochen erkennt man unter anderem gut die evolutionären Fortschritte der Tiere. Besonders interessant: Raubdinosaurier sind viel seltener als Beutetiere, auf einen Raubsaurier kommen vielleicht 100 Beutetiere.

285 Merkmale

Ben Pabst hat die Knochen präpariert. Erst dann stellte sich heraus, dass es sich mit Sicherheit um das Skelett eines Raubdinosauriers handelt.  Im Juli 2019 haben Marion Zahner und Winand Brinkmann von der Universität Zürich das Tier im renommierten wissenschaftlichen Journal «Nature Ecology & Evolution» beschrieben. Gleichzeitig erhielt es seinen Namen: Notatesseraeraptor frickensis.

Bis es soweit war, mussten die Wissenschaftler wie Detektive vorgehen. Zuerst mussten sie herausfinden, welche Knochen sie da vor sich haben: Rippen, Wirbel, Beckengürtel, Schultergürtel, Vorderarme, Oberschädel, Unterkiefer. Um die Verwandtschaft des Tieres zu bestimmen, haben sie 23 verschiedene Raubdinosaurier angeschaut und 285 verschiedene Merkmale mit dem Raubdinosaurier von Frick verglichen. Mit einem Computerprogramm konnten sie schliesslich den Stammbaum errechnen. «Es ist natürlich äusserst spannend, so einen Fund zu bearbeiten», sagte die junge Paläontologin Marion Zahner bei der Präsentation des Fundes im Sauriermuseum in Frick. Sie hat aus Kunststoff den Schädel des Fricker Räubers sorgfältig nachgebildet.

Saurierschädel

Das Mosaik

Festgestellt haben die Wissenschaftler, dass beinahe jeder Knochen des Schädels eine spezielle Kombination von Merkmalen von zwei verschiedenen Raubdinosauriergruppen aufweist, die typisch sind für jeweils eine der beiden frühen Theropodengruppen Coelophysoidea und Dilophosauridae. Das macht ihn einzigartig und deshalb hat er auch den kompliziert tönenden Namen erhalten: Notatesseraeraptor frickensis. Wörtlich bedeutet der Name, dass das ausgestorbene Tier ein Mosaik von Merkmalen aufweist, deshalb heisst es «Merkmalsmosaikräuber von Frick».

Der Fund zeichnet sich auch durch zahlreiche Besonderheiten aus. So konnten rund 70 Prozent der Knochen geborgen werden; das ist überdurchschnittlich viel. Zudem sind die Vorderarme noch weitgehend im Verband vorhanden. Weiter ist der Schädel ausserordentlich gut erhalten und im Magen war die letzte Mahlzeit des Tieres anhand eines Oberkieferknochens und Zähnen wissenschaftlich bestimmbar: Notatesseraeraptor frickensis hatte vor seinem Tod einen Clevosaurus verspeist, ein circa 30 Zentimeter langes Reptil der Gattung der Brückenechsen.  Im Magen fanden sich zudem diverse zarte Knochen und winzigen Zähne. «Es handelt sich bei dem Skelett um einen der bisher vollständigsten erhaltenen frühen Theropoden Europas und um den komplettesten Schädel sowohl der Trias als auch des Frühen Jura von Europa», schrieb Marion Zahner zu dem Fund.

Notatesseraeraptor frickensis war zwischen 2.6 und 3 Meter gross, wobei der Schwanz des Tieres rund die Hälfte der Länge ausmacht. Das Tier war möglicherweise noch nicht ganz ausgewachsen. Der Schädel ist lang und schlank mit grossen Augenhöhlen. Seine Zähne sind scharf und haben die Form eines Säbels. Einiges deutet darauf hin, dass es ein Männchen war. Man kann ihn sich als eher kleinen bis mittelgrossen und sehr agilen, flinken Räuber vorstellen, etwa wie ein grosser Windhund. Er hatte hohle Knochen und verhältnismässig lange und kräftige Hinterbeine.

Urbruder des T. rex

Marion Zahner hat zu dem Fund weiter festgehalten: «Man könnte vereinfacht auch sagen, dass der erste Schweizer Raubsaurier der kleine Urbruder des weltberühmten Tyrannosaurus rex ist. Ausserdem steht Notatesseraeraptor frickensis an der Basis zu jener Linie, die schliesslich zu den Vögeln führte.»

2017 und 2018 hat man in der Gruhalde in Frick weitere Reste von Raubsauriern gefunden, wohl von einem kleineren und einem grösseren. «Wir müssen also weiter graben», sagt Ben Pabst.

Schweizer Strahler, November 2019 (PDF)