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Der Andachtsraum im Pflegeheim Puntreis in Disentis ist ein besonderer Ort. Von den Fenstern grüssen nicht bunte Farben, Heilige oder biblische Symbole, sondern Milarit-Kristalle.

Von aussen sieht das Center da Sanadad in Disentis aus wie andere Einrichtungen für betagte und pflegebedürftige Menschen. Es ist klar gegliedert und steht in der Nähe der Dorfkirche Sogn Gions. Vor 12 Jahren wurde das Bauprojekt genehmigt und in den darauffolgenden Jahren ausgeführt. Der Andachtsraum, die Caplutta, ist direkt zugänglich von der Eingangshalle aus. Er ist einfach gehalten, überrascht aber mit seinen Fenstern. Das Licht von draussen dringt nicht einfach durchs Glas, denn die Scheiben sind mit einer durchsichtigen Folie überzogen. Sie zeigen das Foto eines Milaritaggregats. Auf diese Weise leuchten die Kristalle im Raum hell auf.

Das Foto stammt vom Berner Fotografen Thomas Schüpbach; Mineralien sind eine Spezialität seiner Arbeit. Das Millaritaggregat hat der Urner Strahler Hansruedi Dittli in einem Seitental des Urserentals – also aus der geographisch gesehen westlichen Verlängerung der Surselva – gefunden. Sie sind zum Teil mit Chlorit überzogen. In einem Bericht im «Schweizer Strahler» hat Hansruedi Dittli 2014 den Fund beschrieben. An der gleichen Stelle hatte er bereits Adulare, Rosa-Apatite und Quarze von guter Qualität gefunden. Für Milarit aber war das Gebiet nicht bekannt.

Val Milà, Val Giuv

Wie aber kam der Milarit nach Disentis ins Center da Sanadad Puntreis? 1868 hat Giachen Fidel Cavegn aus Rueras an der Secunda Muota im Val Giuv ein Mineral gefunden, das er nicht kannte. Er verkaufte das Stück einem Zürcher Mineralogen, der bei seiner Analyse feststellte, dass es sich um einen Neufund handelte. Weil Cavegn aber als Fundort das Val Milà angegeben hatte, um nicht weitere Strahler ins Gebiet zu locken, erhielt das neue Mineral den Namen Milarit – und nicht Giuvit.

Tatsächlich kommen im Val Giuv Milarite vor. Und was für welche. Conrad Berther, wie Giachen Fidel Cavegn aus Rueras, fand im Jahr 2000 unterhalb des Giuv Stöckli und des Piz Giuv einen Milarit mit einer maximalen Kantenlänge von 43 Millimetern. Damit dürfte er zu den grössten je gefundenen Exemplaren dieses Minerals gehören. Seine Farbe wird als katzenaugengelblich beschrieben, das Grünliche dürfte auf Amianteinschlüsse zurückzuführen sein. Der Milarit ist so zu einer Art Markenzeichen der Region geworden.

Den Milarit aus dem Urserental für den Andachtsraum ausgewählt hat Philipp Clemenz, ein Grafiker aus Luzern. Er war für die Gestaltung der Calplutta angefragt worden. Er schreibt dazu: «Die Menschen, welche für einen sensiblen Lebensabschnitt ins Center da Sanadad kommen, sind Menschen mit eigenem Charakter und sie sind einmalige Persönlichkeiten.» Sie seien aufgewachsen und gereift in der Umgebung von Disentis, die berühmt sei für den Reichtum an Mineralien. «Das Licht, die Reinheit und die Kraft der Kristalle ziehen die Menschen seit Urzeiten an. Faszinierend ist, dass im Rohzustand kein Exemplar dem andern gleicht. Jeder ist ein Unikat – gleich wie jeder Mensch.» Den Kristallen würden Heilkräfte nachgesagt und sie bringen Glück, zudem seien sie durch eine unglaubliche Widerstandskraft geprägt. «Im Andachtsraum bekommt diese vielschichtige Symbolik strahlende Kraft», sagt Philipp Clemenz. Deshalb habe er den Milarit ausgewählt.

Und Alois Carigiet

Angefragt wurde Philipp Clemenz vom Präsidenten der damaligen Baukommission Dumeni Columberg, dem ehemaligen Gemeindepräsidenten, Grossrat, Nationalrat und Europarat aus Disentis. Rückblickend sagt Columberg, dass beim Bau des neuen Pflegeheims die grössten Probleme der hohe Zeitdruck und die Einigung auf eine regionale Lösung gewesen seien. Zuvor hatten nämlich die Gemeinden Medel, Tujetsch und Disentis ein gemeinsames Projekt abgelehnt. Aber schliesslich habe man sich politisch doch noch einigen können. Heute bilden die Gemeinden Disentis/Mustér, Medel/Lucmagn und Tujetsch die Trägerschaft des Hauses, respektive die Fundaziun PUNTREIS und die Betriebsgesellschaft PUNTREIS Center da Sanadad SA.

Dumeni Columberg gefallen im Andachtsraum die Kristalle an den Scheiben, aber auch die zwei Werke von Alois Carigiet, dem Zeichner des «Schellenursli»: das Bild «Der barmherzige Samariter» hinter dem Altar und die «Dornenkrone» am Altar selber. Alois Carigiet (1902 – 1985) stammte aus Trun, unweit von Disentis/Mustér.

(Schweizer Strahler, November 2021, PDF)