Ausländische Architekten, die in der Innerschweiz gewirkt haben – in paar Namen sind rasch zur Hand: Alvar Aalto, Rem Koolhaas, Jean Nouvel. Eine lokale Kulturgeschichte der Bauwerke fremder Meister aber fehlt. Das Folgende kann vielleicht ein paar Versatzstücke für eine Einleitung zum Vorwort liefern.
Am Anfang war die Not. Die Urner Bauleute vermochten keine Brücke über die Schöllenen zu spannen. Da engagierten sie den Teufel. Später gefiel das Südländische. So holte Luzern fürs Rathaus einen Italiener, der in der repräsentativen Form der Palazzi dachte. Oder es war ein Däne, der den Schweizer Legionären das Löwendenkmal in den Sandstein zeichnete.
Von auswärts gekommen waren auch die Tiroler Franz und Josef Händle, die herrlich spätbarock ausholen konnten und auf der Luzerner Landschaft zahlreiche Kirchen entwarfen. Dies zu einer Zeit, als die Schweiz noch keine spezielle Architekten- und Ingenieurausbildung kannte.
Unser aller Dach
Ausländische Architekten werden, wenn sie hierzulande wirken, gern als Stararchitekten bezeichnet. Der letzte solche Star, der in der Innerschweiz gebaut hat, ist Jean Nouvel. Er hat mit dem KKL Luzern das Akustische der Luzerner Musiktradition in grandiose Baukultur verlängert. Damit konnten sich Stadt und Lucerne Festival die internationale ufmerksamkeit sichern: Man redet auch 14 Jahre nach der Eröffnung noch immer vom grossen Wurf der kleinen Stadt, und das überzeugende Haus steht für die Region und umgekehrt. Jean Nouvel faszinierte mit seinem Bau.
Hotelier Urs Karli nutzte die Magie der Stunde, indem er den Franzosen gleich um die Ecke «The Hotel» planen liess. So entstand beim Vögeligärtli die urbanste Unterkunft der Stadt Luzern – Jean Nouvel zum Zweiten, wieder mit einem architektonisch bedeutsamen Eingriff.
Auch andere renommierte ausländische Architekten haben in den letzten Jahren die Innerschweiz bereichert. Der Deutsche Hans Kollhoff etwa, der den massigen, aber klassisch zurückhaltenden Tivoli-Bau in Luzern entworfen hat und seit 1999 in Rotkreuz ein Büro unterhält. Den Vorgarten zum Tivoli hat der Belgier Jacques Wirz gestaltet, auch er ein international anerkannter Fachmann. Kollhoffs Bau hat sich dem kollektiven Bewusstsein jedoch viel weniger eingeprägt als Jean Nouvels KKL Luzern. Das liegt wohl daran, dass die Tivoli-Residenz der Allgemeinheit verschlossen bleibt, nicht direkt im Zentrum liegt und auch keine öffentlichen Gelder braucht, um ein löchriges Dach zu flicken.
Vorbauten, ein Fenster, Bretter
Jean Nouvel hat längst auch Santiago Calatravas gläsernen Bahnhofvorbau von 1991 übertrumpft. Vor kurzem wurde gar das zweite Vordach des renommierten Spaniers, das er für Luzern entworfen hatte, beim Umbau des Bahnhof-Postgebäudes zugunsten der gefalteten Fassade der neuen Universität weggeräumt. Als ob mit dem Dach Nouvels und dem Bahnhofvorbau Calatravas genug Fremdes vor dem hiesigen Regen schützen würde.
Generell kann festgehalten werden, dass seit den 1980er Jahren zahlreiche ausländische Architekten in der Innerschweiz gebaut haben. War die Erkenntnis gereift, dass gute Architektur einen Mehrwert hat und – wie das KKL Luzern – auch von sich aus zum Anziehungspunkt werden kann? Oder war generell der Wille erstarkt, wirklich Baukultur zu schaffen?
Einen in seiner Minimalität maximal spektakulären Eingriff in ein bestehendes Gebäude vorgenommen hat der Niederländer Rem Koolhaas. Er hat das alte Hotel auf dem Furkapass 1989 aufgebrochen und ein vertikales Panoramafenster eingebaut. Es ist von der Strasse her nicht sichtbar, gibt aber den Blick frei hinunter zur Furkareuss und hinüber zu den Wilden Böden, einer kargen Landschaft, die sich im Tageslicht unendlich wandelt. Der Windfang, den Koolhaas dem Eingang vorgesetzt hat, überrascht die Gäste mit Glas, Metall und seitlich verborgenen Türen – gewollte Baukultur, die sich nicht an Rendite misst.
Dass Koolhaas auf die Furka kam, ist letztlich dem Neuenburger Galeristen Marc Hofstetter zu verdanken. Er hatte das Hotel gekauft und während Jahren Künstlerinnen und Künstler eingeladen, im Sommer auf dem Pass zu arbeiten.
Weniger öffentlich, aber ebenso markant wurde das ehemalige Restaurant «Eichholteren» in Küssnacht umgebaut. Der amerikanische Künstler und Architekt Donald Judd hatte das Haus 1989 gekauft und die Pläne entworfen, wie das grosse freistehende Haus als Wohnung, Atelier und Ausstellungsraum genutzt werden soll. Die Flächen wurden weitgehend geöffnet und ein starker Bezug zum nahen See hergestellt.
Einen höchst kunstvollen Eingriff hat auch der Japaner Tadashi Kawamata 1998 beim Strandbad in Zug vorgenommen. Seine blickundichte, aus sägerohen Brettern scheinbar achtlos zusammengenagelte Wand zum Fussweg hin bildet einen witzigen Kontrast zur eigentlichen Holzwand des Bads, die ordentlich zusammengefügt ist und keinerlei Einblicke ins Geschehen dahinter erlaubt. Dieser Arbeit ging der bewusste Entschluss des Kunsthauses Zug voraus, den japanischen Künstler ausserhalb des Museums den öffentlichen Raum bespielen zu lassen.
Der finnische Solitär
Was heute selbstverständlich scheint, war zwischen dem Ersten Weltkrieg und 1980 anders. Da plante und baute die Innerschweiz vor allem einheimisch. Es sind – soweit dies hier grob überblickt werden kann – selten ausländische Architekten am Werk. Aber es gibt Ausnahmen. Bedeutsame Ausnahmen. Da ist das Kloster Baldegg. Der in Ungarn geborene und in den USA tätige Marcel Breuer hat dort Ende der sechziger Jahre ein neues Mutterhaus erstellt. Breuer zählte zu den weltweit renommiertesten Architekten und Designern. Der geometrische, streng wirkende Betonkomplex hat einen Grundriss in H-Form und überrascht in der idyllischen Landschaft des Seetals. Ein mutiger Bau für eine mutige Klostergemeinschaft.
Die andere Ausnahme ist Alvar Aaltos Hochhaus im Schönbühlquartier. Der Bau am Luzerner Stadtrand hat eine ganz besondere Geschichte. Er ging letztlich aus der allgemeinen Verehrung des finnischen Architekten hervor. Genährt vom Bild der tapferen Finnen, die sich im Winterkrieg gegen die kommunistischen Russen wehrten, verkörperte Alvar Aalto ein Land, für das die Schweiz viel Sympathie und Solidarität aufbrachte. Bereits 1940 reiste Aalto für Vorträge in die Schweiz, dann auch wieder in den 1960er Jahren, als die Aalto-Begeisterung ihren Höhepunkt erreicht hatte. Durch Vermittlung beauftragte die Familie von Schumacher, die im Gebiet Schönbühl seit Jahren ihren Landsitz überbauen wollten, Alvar Aalto mit der Planung eines Hochhauses. 1965 bis 1968 wurde es errichtet. Architekturkritiker Stanislaus von Moos strich damals die «intensive Verbindung von Poesie und herbem Realismus» heraus.
Ausländische Investoren
Diese Verehrung für ein Land und seinen berühmtesten Architekten ist wohl einmalig. Heute sind die ausländischen Architekten fast unauffällig an der Arbeit. In Emmen etwa plant das niederländische Büro MVRDV. Dieses Büro hat mit genial gestapelten Bauten überrascht und mit Fassaden, aus denen monumentale Kuben wie Monsterbalkone weit herausragen, überzeugt. Warum redet man da in der Innerschweiz nicht eingehender über das entstehende Wohnbauprojekt in Emmen? Ist architektonischer Gestaltungswille uninteressant, wenn kein hierzulande als Star bezeichneter Architekt auftritt?
Ein anderes Phänomen prägt zusehends das Bauen. Ausländische Investoren, die wie in Andermatt sogenannte Resorts bauen, haben oft mit ihrem fremden Kapital auch ortsfremde Architekturbüros mitgenommen. Diese zeichnen dem globalisierten Geschmack einer gut betuchten internationalen Kundschaft effizient entgegen.
Gion A. Caminada, Architekt aus dem Bergdorf Vrin und Professor an der ETH in Zürich, hat die neu entstehende Siedlung in Andermatt – aus der Distanz betrachtet – in einem Interview als «kulturell und architektonisch kaum von Bedeutung» bezeichnet. Das trifft die Sache ziemlich gut. Baukultur und lokale Eigenart haben in Andermatt hinter Wirtschaftlichkeit anzustehen.
Baukultur in Phasen?
Blüht uns in den kommenden Jahren – nach ein paar Jahrzehnten prägender Handschriften fremder Meister – ein internationalisierter und banalisierter Baustol? Droht der Innerschweiz eine McDonaldisierung der Architektur?
Eine Kulturgeschichte würde wohl Wellenbewegungen ausmachen. Etwa die, dass vor dem Ersten Weltkrieg einige ausländische Architekten in der Innerschweiz Bauten und Anlagen schufen wie zum Beispiel den Luzerner Kurpark mit dem Muschel-Pavillon, der zum Inventar des Luzerner Stadtbildes gehört. Dass dann aber fast 70 Jahre lang vorwiegend einheimisches Schaffen die Landschaft prägte. Erst ab 1980 wurden wieder gezielt ausländische Architekten oder Architekturbüros engagiert.
Interessant wäre es für die letzten 150 Jahre zu klären, weshalb die Ortsfremden geholt wurden. Waren es Zufälle, persönliche Beziehungen, allgemeine Begeisterungen für einen Stil oder ein Land? Und spielt heute die Regel, dass für grössere Bauten Wettbewerbe veranstaltet werden, eine entscheidende Rolle?
Zu einer Kulturgeschichte des Wirkens fremder Meister in der Innerschweiz gehörte auch die Frage, welche Bezüge die einheimischen Architektinnen und Architekten ins Ausland hatten und haben. Viele haben in den USA, in Finnland, in Wien oder wo auch immer studiert. Ebenfalls haben viele bei Praktikas in ausländischen Büros ganz anders zu gestalten und planen gelernt. Sind diese Erfahrungen Stil bildend geworden? Sind die fremden Meister heute vor allem indirekt spürbar? Zum Beispiel der Amerikaner Steven Holl in den Arbeiten des Luzerners Justin Rüssli – letzterer hatte bei Holl in den USA gearbeitet. Die Rüssli Architekten AG hat das Lakefront Center mit Radisson-Hotel und Bürokomplex in Luzern entworfen und baut auf dem Bürgenstock das neue Fünf-Stern-Hotel, das als Aushängeschild des neuen Resorts gilt. Ist da etwas von Steven Holls Postmodernismus und Dekonstruktivismus herauszulesen?
Gute Architektur zeichnet eine Region zusätzlich aus. Das weiss man in der Innerschweiz spätestens seit dem KKL Luzern wieder, ob das nun ein fremder oder ein einheimischer Meister ist. Und eigentlich sollte gute Architektur in einer ökonomisierten Welt besonders hoch geschätzt werden und Baukultur besonders gut bestehen können. Eigentlich.