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Was ist noch übrig von Furk’art, jenem Kunstprojekt auf dem Furkapass, das über Jahre hinweg faszinierte und sich dem Publikum fortwährend zu entziehen schien?

Es begann mit schwarzem Parfüm. Der amerikanische Künstler James Lee Byars – gekleidet in einen goldenen Anzug und neben einem Stein stehend – liess einen oder mehrere Tropfen davon auf die Furka fallen (wobei nicht ganz klar ist, ob überhaupt Parfüm getropft ist). Aus dieser Performance «A Drop of Black Perfume» entstand eines der bemerkenswertesten Kunstprojekte der Schweiz. Es wurde zwischen 1983 und 2004 vom Neuenburger Galeristen Marc Hostettler entwickelt und beseelt. Heute antwortet er nur noch knapp. Er habe viel Energie investiert, mehr sage er nicht mehr. Über 60 Künstlerinnen und Künstler haben auf der Furka gearbeitet, vor allem zwischen 1983 und 1996. 2014 präsentierte das Centre Pompidou in Paris Elemente des Projekts Furk’art.

Kein Produkteschild

Nicht zu übersehen ist die Backsteinsäule auf der Passhöhe. Sie wurde 1986 von Per Kirkeby hingemauert, einem der bedeutendsten Gegenwartskünstler Skandinaviens. Unweit davon ein Feuerplatz. Er besteht aus vier glatten Steinquadern, die lose zu einem zu einem Quadrat gefügt sind. Ein Werk von Max Bill, dem bekannten Schweizer Architekten und Künstler. 100 Meter weiter, in einer Senke, ein Stein. In seine Oberfläche wurde Ferdinand Hodlers Unterschrift gehauen: Die Sicht von dort auf die Berge ringsum taugt exakt für ein Hodler-Bild. Die Idee zu dieser Signatur stammt vom Schotten Ian Hamilton Finlay. Ein Teil des Steins ist abgeplatzt.

Nirgends findet sich ein Hinweis, wer Säule, Feuerplatz oder Unterschrift geschaffen haben. Ja, schnell konsumierbar war Furk’art noch nie. Das gehörte zum Konzept von Marc Hostettler, und das ist auch heute noch so. Auf der Furka und im Restaurant sind bis auf ein Orientierungsblatt keine Hilfen vorhanden, eine Website gibt es nicht: Kunst ohne Vermarktung und ohne touristische Events, gewissermassen abgeschirmt und fast ohne Vermittlung. Die Kunst ist hier dem Nutzen entzogen.

Metropolitan Architecture

Herzstück des Labors Furk’art war das Hotel Furkablick, erbaut am Ende des 19. Jahrhunderts als Luxusabsteige in rauer Bergwelt. Der Hotelbetrieb ist seit langem eingestellt. Feuerpolizeiliche Auflagen konnten nicht mehr erfüllt werden. Eine Sanierung war nicht gewollt, denn sie zerstört auch immer. Die Zimmer haben wie damals kein fliessendes Wasser. Betten, Stühle, Vorhänge, Sonnerie – alles original. In den Wandschränken des Speisesaals stehen filigrane Likörgläser aus der Anfangszeit.

Im Anbau befindet sich das Restaurant. Geöffnet ist es nur in den Sommermonaten, wenn das Postauto fährt. Man staunt: der Eingang durch einen Windfang aus Glas und Metall, der sich seitlich öffnet; auf der Rückseite des Hauses schwebt eine Terrasse über dem Tal der Furkareuss; ein riesiger Fenstereinschnitt verbindet konstant Innen und Aussen. Die Eingriffe stammen vom niederländischen Architekten Rem Koolhaas und seinem prägenden Büro «Office for Metropolitan Architecture (OMA)». Der Umbau war Teil des Projekts Furk’art. 1991 wurde er vollendet. Solche Architektur auf 2400 Meter über Meer war revolutionär.

Phase zwei

Im Jahr 2004 hat Alfred Richterich mit seiner Stiftung das Hotel Furkablick übernommen. Dies mitsamt diversen Gebäuden, mehreren Parzellen und den Kunstwerken von Furk’art. Alfred Richterich stammt aus der Ricola-Kräuterbonbons-Familie. Er hatte bereits Marc Hofstetter finanziell unterstützt. Heute sind Janis Osolin und seine Frau Huang Qi beauftragt, Furk’art zu kuratieren, respektive das Institut Furkablick zu führen. Weggeworfen wird nichts, hinzugefügt auch nicht. Wenn etwa ein Bleirohr im WC leckt, dann wird es ersetzt, aber auch aufbewahrt. Säuberlich versammelt in einem Raum sind die Elektroöfeli, die einst die Zimmer notheizten, oder die vielfältigen Ovo-Becher, aus denen die Gäste über die Jahre hinweg tranken. «Wir versuchen, Furk’art in seiner Gesamtheit lesbar zu machen. Wir restaurieren nicht, wir erhalten», sagt Janis Osolin.

Er wurde anfänglich dafür kritisiert, keine neuen Kunstschaffenden auf die Furka einzuladen. Heute, sagt Janis Osolin, spüre er mehr Verständnis für die Art, wie die Alfred Richterich Stiftung die Furka Zone bewirtschafte: bewahrend und ohne sie für irgendetwas zu instrumentalisieren.

Seit 2004 waren nur vereinzelt Künstler auf der Furka. Huang Qi hat den Ort in einer Serie von bestechenden Schwarz-Weiss-Fotos festgehalten. Stefan Sulzer hat im frisch geschindelten Militärmagazin unweit des Hotels Mikrofone aufgereiht. Der Raum mit Naturboden wird schwach beleuchtet, die Kohle-Briketts lagern unberührt. Aus Lautsprechern singen mehrmals täglich die Einsiedler Mönche ein Requiem. Charakteristisch auch hier: Nirgends findet sich ein Hinweis auf die Installation. Und: Die Alfred Richterich Stiftung liess ein Stück des alten Schindeldachs ausschneiden und ins Magazin hängen.

Weitergeführt werden auch die Aussenaufnahmen: Seit 1994 fotografiert der Churer Thomas Popp alle sechs Jahre das Haus. 2018 folgt das nächste Foto, 2024 das letzte. Im nächsten Jahr wird der Amerikaner Kim Jones, der im Vietnam-Krieg gekämpft hatte, möglicherweise seine War Drawings weiterführen, diese fiktiven grossformatigen Schlachtpläne. 12, respektive 20 Stück lagern bereits in Schubladen in einem riesigen Metallkorpus. Davon weiss kaum jemand. Umso beeindruckender, wenn Janis Osolin die Schublade herauszieht.

Weltklasse…

Von der künstlerischen Lebendigkeit, die während Marc Hostettlers Zeit herrschte, ist kaum noch etwas spürbar. Dabei haben international bekannte Kunstschaffende auf der Furka gearbeitet wie etwa Marina Abramović mit Ulay, der Rucksackflieger Panamarenko, die erwähnten James Lee Byars, Per Kirkeby und Ian Hamilton Finlay, dann aber auch Daniel Buren, Mario Merz, Richard Long, Jenny Holzer, Joseph Kosuth, John Armleder. Ebenso bekannte Kunstschaffende aus der Schweiz wie Max Bill, Cornelia Blatter, Res Ingold, Rémy Zaugg, Anna Winteler, Olivier Mosset, Christoph Rüttimann, Roman Signer, Ian Anüll, Fischli&Weiss, René Zäch.

Viele Werke sind – wie die Säule von Kirkeby oder die Feuerstelle von Max Bill – offen in der Landschaft präsent. Etwa die Stahlplatten von Royden Rabinowitch, die Windpfeile des Briten Richard Long an der Dèpendance, das Goethe-Zitat von Joseph Kosuth, das Hörloch von Gretchen Faust, die von Daniel Buren bemalten Fensterläden am Hotel, die gravierte Kupferplatte von John Hilliard, der vom Belgier Luc Deleu umgebaute Teil der Dépendance, die Metallplatte «Covered by Clouds» von Lawrence Weiner. Nicht mehr draussen erlebbar ist die grosse, zauberhaft blaumetallige Teeschale des Japaners Kazuo Katase.

Und sonst? Das Institut Furkablick, getragen von der Alfred Richterich Stiftung, hat in der Zeit nach Marc Hostettler ein Archiv samt Inventar aufgebaut. Jürgen Grath hat im vergriffenen Buch «Spuren des Ephemeren» viele Informationen zusammengetragen. Das ehemalige Hotel selber ist auf Anfrage zugänglich. Installiert sind dort etwa Bilder von John Armleder, Olivier Mosset oder Rémy Zaugg. Auch nur bei einem Gang durchs Hotel einsehbar sind die Celan-Wörter an den Fensterscheiben, ein Werk von Mark Luyten. Vergängliches wie die siebenstündige Performance im Speisesaal von Abramovic und Ulay, der Drop of Black Perfume oder Terry Fox’ Prozession mit der Rotbrasse zum Sidelengletscher wurden auf Postkarten und Filmen festgehalten. Auch Überreste des Raketen-Tischs von Roman Signer oder Daniel Burens gestreifte Fahnen von den Stotzigen Firsten werden im Haus aufbewahrt.

… und Schluss

Aufbewahrt ist auch eine Kiste mit Schokoladen von Ian Anüll. Anüll hatte vorne auf der Verpackung ein Ufo und hinten die Prototypen von Ausserirdischen gezeigt: «Produktionskosten waren damals sechs Franken, für vier wurden sie auf der Furka verkauft.» Für Ian Anüll hat sich auf der Furka eine Freundschaft mit dem Australier John Nixon ergeben. Eine gemeinsame Arbeit ist zurzeit im Haus für Kunst in Uri zu sehen.

Das unvermittelte Erleben der Kunst ist bereichernd. Heute aber werde es oft bewusst gelenkt und Erfahrung damit zur Handelsware gemacht, sagt Janis Osolin. Schliessen wir hier also ab.

041 Das Kulturmagazin, September 2017 (PDF)