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Es ist kein einfacher Job, den Peter Amacher für die nächsten Jahren übernommen hat: die Mineralienaufsicht beim Bau des zweiten Strassentunnels am Gotthard. Er war in gleicher Mission bereits bei der Neat unterwegs.

In rund einem Jahr dürfte es losgehen mit den ersten Sprengungen bei Göschenen. Der Fels dort ist bekannt für gute Klüfte mit schönen Mineralien. Peter Amacher wird von Anfang an zur Stelle sein. Er wird die freigelegten Kristalle so gut es geht bergen, dokumentieren, reinigen, sortieren und einlagern. Jede Kluft wird er nachzeichnen, mit einer Nummer versehen und akribisch beschreiben: Lage, Grösse, Gesteinsumgebung, Mineralienzusammensetzung, Finder. Der Strahler aus Amsteg – da kann man sicher sein – wird sich nochmals voll ins Zeug legen.

Das Bergregal

Das Innere des Bergs gehört dem Kanton Uri. So will es das Gesetz über das Bergregal und die Nutzung des Untergrundes. Deshalb ist es auch der Kanton, der den Auftrag für die Mineralienaufsicht vergeben hat. Er gilt für die Tunnelstrecke unter Urner Boden bis zur Tessiner Grenze. Den Auftrag erhalten hat die Geo-Uri GmbH, das heisst das Büro für Mineralogie und Geologie von Peter Amacher. Amacher ist als Strahler weit herum bekannt und wird ein Team von fünf Leuten leiten. Sein Stellvertreter ist Patric Tresch, Bauingenieur und Strahler aus Bürglen. Drei bis dreieinhalb Jahre wird die Arbeit im Tunnel dauern.

Warum schon wieder der Amacher? Auch andere hatten Interesse signalisiert. Aber keiner in Uri und wohl keiner in der Schweiz hat ebenso viel Erfahrung wie Peter Amacher. Während 15 Jahren schon hat er über Mineralien gewacht, die bei Bauten im Urner Fels freigelegt wurden. So war er Mineralienaufseher beim Neubau des Kraftwerks in Amsteg, quasi direkt vor seiner Haustür. Das gleiche Amt übernahm er beim Bau des Wasserkraftwerks Realp II sowie beim Bau der Neat. Bei der Neat war er 1998 bis 2008 zuständig für die Tunnelstrecke ab Erstfeld bis zur Bündner Grenze, dann auch noch für den Abschnitts unter dem Gemeindegebiet von Sedrun. Diese Tätigkeit hat Peter Amacher über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht – nicht nur in Fachkreisen.

Der ungeliebte Polizist

Eigentlich könnte sich Peter Amacher dieses Jahr pensionieren lassen. Aber er winkt nur ab. Die Mineralienaufsicht sei doch eine interessante Sache. «Im Tunnel strahlnen zu dürfen, ist ein Privileg», sagt er. Er wird Mineralien entdecken, die noch keine Spuren von Verwitterung zeigen, und er wird Kristalle finden, die sonst nie ein Mensch zu Gesicht bekommen würde. Aber die Arbeit ist körperlich anstrengend. Er wird viel in der Nacht in den Stollen unterwegs sein, im Berg ist es heiss, feucht, lärmig und wegen den engen Verhältnissen gefährlich. Zudem wird er die Mineralien rasch bergen müssen: Es bleibt nie viel Zeit, denn wegen ein paar Kristallen wird keine Maschine angehalten.

Zudem wird der Mineralienaufseher psychisch gefordert. Er muss durchsetzen, dass keine Kristalle entwendet werden, und er muss verzeigen, wer sich nicht an die Vorschriften hält. Ludwig Lussmann, der die Mineralienaufsicht beim Bau der ersten Strassenröhre am Gotthard innehatte, schrieb in seinem Bericht, wie es bereits auf den ersten 100 Metern des Tunnelvortriebs zu einem Streit um eine Kristallkluft gekommen war. Daraus schloss er: «Auf weitere Kraftproben musste man sich gefasst machen, und manche Drohung und verborgene Gemeinheit blieb mir dann während den Baujahren wahrlich nicht erspart.» Gleiches hat Peter Amacher als Mineralienaufseher der Neat erlebt. Er ist also auf vieles gefasst.

«Der Kanton Uri ist der Eigentümer der Kristalle. Die Mineure sollen auch ihren Anteil erhalten, aber wir tolerieren nicht, dass sie sich die Schätze einfach in den eigenen Sack stecken», sagt Peter Amacher. Er setzt voraus, dass der Kanton Uri und das Bauunternehmen die Arbeiter klar informieren und alle genau wissen, was verboten ist, und dass der Finder Anrecht auf eine Prämie hat. Peter Amacher strebt ein gutes Verhältnis zu den Mineuren an. Aber das wird ihm nicht durchwegs gelingen: «Dann muss ich halt der böse Polizist sein.» Es drohen Haft und Busse.

Klare Karten

1969 wurde mit den Vorbereitungen zum Bau der ersten Strassenröhre am Gotthard begonnen. Im Vergleich zum Bahntunnel aus dem 19. Jahrhundert, der in gerader Linie zwischen Göschenen und Airolo verläuft, macht der Strassentunnel einen leichten Bogen und folgt dem Geländeeinschnitt, respektive der Passstrasse. Dies vor allem wegen der Lüftungsschächte – sie sollten möglichst günstig liegen und kurz sein. Der neue Strassentunnel wird weitgehend parallel zum ersten verlaufen.

Die Gesteinsschichten im Gotthardgebiet stehen fast senkrecht: Bei der Bildung der Alpen wurden riesige Gesteinspakete übereinander geschoben, verfaltet und aufgestellt – der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen. Sowohl beim Bau des Eisenbahntunnels als auch beim Bau des ersten Strassentunnels wurden die Geologie und die Mineralien wissenschaftlich beschrieben. Das Buch «Die Mineralien des Gotthardbahntunnels und des Gotthardstrassentunnels N2» hat 1980 minutiös aufgelistet, was in den Röhren geborgen werden konnte.

Die Autoren des Buchs waren der Kunstschaffende und Mineralienaufseher Ludwig Lussmann aus Altdorf, der Gurtneller Unternehmer und Strahler Valentin Sicher sen. sowie der renommierte Berner Geologe und Mineraloge Hans Anton Stalder. Dank ihrer Aufzeichnungen ist relativ klar, was die Bauherrschaft, die Kantone, die Mineure und die Mineralienaufseher bei der zweiten Strassenröhre geologisch und mineralogisch erwartet.

Apatit, Fluorit, Kainosit

Die Gesteine, die durchbohrt werden, gehören entweder zum Aar- oder Gotthardmassiv. Beim Bau der ersten Strassenröhre wurden insgesamt 51 verschiedene Mineralien gefunden und dokumentiert. Von Adular über Biotit, Calcit, Epidot, Laumontit, Muskovit, Pyrrhotin, Turmalin, Quarz und Xenotim bis Zirkon. Peter Amacher erwartet bezüglich Mineralien keine Überraschungen. Aber er freut sich auf formschöne Bergkristalle, perfekte Rosafluorite mit noch nicht korrodierten Kanten, auf violetten Apatit oder auf den Kainosit, eines der seltensten Mineralien im Gotthardtunnel. Zum Vergleich: Bei der Neat wurden auf den gesamten 57 Kilometer Tunnellänge weit über 50 verschiedene Mineralien verzeichnet.

Edwin Gnos, gebürtiger Urner und heute Mineraloge am Naturhistorischen Museum in Genf, wird die Funde wissenschaftlich analysieren. Zwar sind die alpinen Mineralien unterdessen breit erforscht, aber in Bezug auf das Alter der Mineralien können dank moderneren Methoden neue Erkenntnisse gewonnen werden. Er wird ein Forschungsprojekt beantragen, das mit neuen Datierungsansätzen zu tun haben wird. Edwin Gnos versucht auch, Doktoranden für die Untersuchungen zu gewinnen, denn dann liesse sich mehr herausholen. Den Hochschulen bietet sich allgemein die seltene Gelegenheit, Material direkt aus dem Berg studieren zu können – so rasch steht kein Tunnelgrossprojekt in den Schweizer Alpen mehr an.

Heikle Störzonen

Der zweite Strassentunnel führt, wie die erste Röhre, durch zwei Störzonen im Berg. Dieses schwierige Gestein wird die Tunnelbohrmaschine nicht einfach wegfräsen können. Von Norden her liegt diese Zone gut 4 Kilometer vom Portal entfernt, im Süden knapp 5 Kilometer. Die Fachleute planen, von Norden und von Süden her je einen Zugangstollen in den Berg zu treiben, um die Störzonen vorgängig zu bearbeiten. Das heisst auch, dass Mineralienaufseher Peter Amacher für zwei halbe Tunnels zuständig ist, für den Zugangsstollen sowie für die eigentlich Röhre, durch die später die Autos und Lastwagen fahren werden. Der Zugangsstollen ist im Durchmesser kleiner.

Für Peter Amachers wird es wohl die letzte Tunnelbaustelle sein, die er als Mineralienaufseher begleitet. Wichtig ist ihm, dass er jetzt sein Wissen und seine Erfahrung weitergeben kann, insbesondere an seinen Stellvertreter Patric Tresch. Der Bürgler Bauingenieur präsidierte früher den Verein Urner Mineralienfreunde (UMF) und er war auch schon bei der Neat mit Peter Amacher dabei.

Uris Einsatz für Kristalle

Der Kanton Uri seinerseits hat schon früh eine Mineralienaufsicht eingerichtet. Beim Bau der Stollen für das alte SBB-Kraftwerk in Amsteg wachte der gebürtige Österreicher Gustav Reseck, Strahler, Kunstmaler und Händler, über die Mineralienfunde. «Er hat wohl einfach für den Kanton die Kristalle eingesammelt», sagt Peter Amacher. Beim Bau des ersten Strassentunnels durch den Gotthard hatte Ludwig Lussmann die Aufsicht im Urner Abschnitt. Heute sind nur noch wenige Mineralien vorhanden – der Kanton hat sehr viele als Geschenke weitergegeben.

Geschätzt wurde bei der Eröffnung des Tunnels 1980, dass Kristalle im Wert von 700’000 bis einer Million Franken gewonnen worden sind. Zudem wurde wissenschaftlich beschrieben, welche fluiden Einschlüsse in den Quarzen zu finden sind und wie das Kluftnebengestein chemisch und mineralogisch verändert worden ist. Auch beim Bau der Neat wurden nicht nur Mineralien geborgen, sondern auch wissenschaftlich geforscht zum Beispiel zur Entstehung alpiner Zerrklüfte und Kluftmineralien sowie über das Bergwasser.

Uri hat auch den kulturhistorischen Wert der Bergkristalle erkannt. Dies ist auch ein grosses Anliegen von Peter Amacher. Er will auch dafür sorgen, dass die schönsten Mineralien in Uri ausgestellt werden. Gleich wie das mit den Funden aus den Neat-Röhren im Schloss A Pro in Seedorf geschehen ist. Zudem plant er eine Publikation, so wie er das bei Neat schon gemacht hat. Auf diese Weise profitieren nicht nur der Kanton Uri, sondern auch alle mineralogisch und geologisch Interessierten langfristig von den Arbeiten des Mineralienaufsehers.

Urner Wochenblatt, 26. April 2020